Hier werden Unterhaltungsmedienprodukte für Erwachsene im Hinblick auf ihr Gewaltpotenzial bewertet. Die Kommentare beinhalten Texte zu aktuellen Entwicklungen im Bereich der Produktion und Konsumtion gewalthaltiger Medienprodukte.
April, 2022
Für den Vorstand des Vereins Dr. Rudolf H. Weiß (Schriftführer)
Für unseren Verein hat dieser Gedenktag an den Amoklauf von Erfurt eine bedeutsame Erinnerung wachgerufen: Ein späteres Vorstandsmitglied (Dr. Rudolf Weiß) unseres 2008 gegründeten Vereins „Mediengewalt-Internationale Forschung und Beratung e.V.“ war damals als Medienwissenschaftler am 23. März 2002 in Erfurt zu einem zweitägigen Symposion der Generalstaatsanwaltschaft und des Landeskriminalamtes eingeladen. Er leitete dort eine Arbeitsgruppe und hielt im Plenum einen Vortrag zum Thema „Schaffen Medien Helden?“. Dieses Symposion fand knapp fünf Wochen vor dem Amoklauf von Erfurt am 26. April 2002 statt.
Zum Abschluss des Symposions am 23. März 2002 gab es eine Pressekonferenz, zu der die Thüringer Presse und überregionale Pressevertreter eingeladen waren und er neben dem Staatssekretär aus dem Innenministeriums Thüringens auf dem Podium saß. Vorher hielt er seinen presseöffentlichen Vortrag „Schaffen Medien Helden?“. Während dieser Pressekonferenz stellte einer der Pressevertreter die kritische aber eigentlich rhetorische Frage, ob er da in Thüringen mit seinem warnenden Bezug auf das erste große Schoolshooting an der Colombine High School 1999 in den USA nicht maßlos übertreibe, denn „wir hier in Thüringen leben ja in einer heilen Welt“. Da war er schon etwas baff, denn seine Warnung, dass so etwas wie in den USA auch bei uns in Deutschland passieren könne, irgendwo zwischen Bergdesgaden und Flensburg, also auch in Thüringen, war anscheinend auf Unverständnis gestoßen. Übrigens hatte Dr. Weiß diese Prognose bereits in seinem Sachbuch „Gewalt, Medien und Aggressivität bei Schülern“ (Hogrefe 2000) zwei Jahre vorher publiziert (Seiten 7 und 133). Darauf entgegnete Dr. Weiß sinngemäß, jedoch ironisierend, wenn es zutreffen würde, dass durch den 5. Rangplatz allein für dieses kleine Bundesland bei der erst vier Wochen zurückliegenden Winterolympiade in Salt Lake City Thüringen schon genügend Helden hat, bräuchte man nun nicht noch solche „Helden“ wie beim Massaker an der Columbine High School. Der Staatssekretär des Innenministeriums stimmte ihm in Bezug auf die Gefahren und stimulierenden Wirkungen von exzessiven Gewaltvideo-Spielen voll zu. Er relativierte das Ganze, indem er etwas belehrend, aber auch humorvoll hinzufügte: „Aber in einem Punkt haben Sie, Dr. Weiß, nicht Recht, denn Thüringen nahm bei der Winterolympiade in der „Nationenwertung“ nicht den 5. sondern sogar den 4. Rangplatz ein“. Wenn’s nur so geblieben wäre. Aber 5 Wochen später wurden alle Skeptiker eines anderen belehrt.
Als der Amoklauf am Guttenberg Gymnasium in Erfurt knapp 5 Wochen später geschah, und man in der Tagesschau am Abend die ersten Bilder von diesem entsetzlichen Ereignis sehen konnte, bemerkten aufmerksame Beobachter mit Verwunderung, dass die Thüringer LKA-Beamten den Computer des Amokläufers Robert Steinhäuser aus dem Elternhaus schleppten und zur genauen Analyse in das LKA verfrachteten. Genau dieses hatte Dr. Weiß beim Symposium den LKA-Beamten fünf Wochen vorher empfohlen (siehe Link zum Vortrag weiter unten).
Sowohl die Generalstaatsanwältin als auch der Innenminister wurden daher in angemessenem Zeitabstand nach dem Schulmassaker von Dr. Weiß kontaktiert. Denn diese hatten bei den Vorbesprechungen zum Vortrag unbedingt vermeiden wollen, das Thema Mediengewalt einzubeziehen. Dr. Weiß hätte sich nur auf die Massenmedien und deren Heldengenerierung beschränken sollen. Da er aber darauf beharrte, dass das nur die halbe Wahrheit darstelle, war man letztlich auch damit einverstanden das Thema um Mediengewalt zu erweitern. So geschah es denn auch.
Nach dem Schulmassaker richtete Dr. Weiß an den Staatssekretär im Innenministerium die schriftliche Bitte, ihn über das Ergebnis der LKA-Recherchen der Computerauswertung und zum Tatmotiv zu informieren, die dieser etwa zwei Monate später in einem dreiseitigen Schreiben erfüllte. Daraus konnte man entnehmen, dass Robert Steinhäuser, wie vermutet exzessiv gewalthaltige Computerspiele spielte, darunter besonders oft den Ego Shooter „Counterstrike“. Die Experten des Landeskriminalamtes folgerten daraus, dass die Identifikation mit den aggressiven Helden der Videospiele sehr eng war und möglicherweise ein wichtiges Motiv für diese schreckliche Tathandlung mit 17 Toten (einschließlich Täter) an seiner ehemaligen Schule darstellte. Die Demütigungen die er dort erlebte durch den Schulausschluss ein Jahr vorher sowie den abgrundtiefen Hass, den er dadurch gegen Schulleitung und Lehrer aber auch Mitschüler entwickelte, stellten wohl auch eines der Hauptmotive dar.
Der Vortrag bei diesem Symposion in Erfurt wurde damals bei „Sichtwechsel“ ins Netz gestellt und kann seit fast 20 Jahren dort unter folgendem Link gelesen werden:
http://www.sichtwechsel.de/media/doc/Schaffen_Medien_Helden.pdf
Zum 20. Mal jährte sich am 26.4.2022 der Tag, an dem sich das Schulmassaker von Erfurt ereignete. Für uns alle ein besonders trauriger Gedenktag. Manche mögen sagen, angesichts der Kriegsmassaker die wir seit dem 24. Februar in der Ukraine täglich medial miterleben, ein „bescheidenes“ Ereignis. Für den damaligen Referenten und uns alle ist eine solche Relativierung jedoch eine absolut unzutreffende Relativitätstheorie.
In den folgenden 20 Jahren ereigneten sich unzählige Schulmassaker und Amokläufe in fast regelmäßigen Zeitabständen. Dabei ragte bei uns in Deutschland besonders der Amoklauf von Winnenden am 11.3.2009 mit 17 Toten, in Norwegen das Massaker von Oslo bzw. Utoya am 22. Juli 2011 mit 76 Toten und in den USA das Grundschulmassaker von Connecticut in der Sandy Hook Grundschule vom 14.12.2012 mit 28 toten Kindern) heraus. Zum Schulmassaker von Connecticut wurde das das sog. „School Shooting Positionspapier einer interdisziplinären Wissenschaftlergruppe zur Prävention von Schulgewalt und Gewalt in der Gesellschaft“ in einer deutschen Übersetzung bei uns in der Homepage eingestellt: https://www.mediengewalt.eu/wp-content/uploads/2020/06/Connecticut-Positionspapier.pdf .
Auch in kriegerischen Auseinandersetzungen, wie wir sie aktuell auch in der Ukraine erleben, können exzessive Gewaltspiele, wie z.B. die seit Jahren immer beliebter werdenden Kriegs Shooter (siehe „Call of Duty – Modern Warfare II“ oder „Black Ops 2“), die exzessiv in allen Ländern gespielt werden, ihre reale Wirkung entfalten.
Der Krieg zeigt uns, dass diese Spiele mit Sicherheit keine Katharsis bewirkt haben, sondern dass durch ihre krypto-faschistischen Elemente Humanität, Mitgefühl und friedliche Konfliktlösungen gänzlich verloren gehen. Es geschehen die gleichen Gräueltaten wie in Kriegs-Shootern.
(dazu: https://www.mediengewalt.eu/wp-content/uploads/2020/06/call_of_duty.pdf)
von Dr. Rudolf H. Weiß, 03.03.2022
Dr. Rudolf H. Weiß hat die Zusammenfassung des Buches „Game On! Sensible Answers about Video Games and Media Violence“, geschrieben von Craig Anderson u.a., hier ins Deutsche übersetzt.
Sind die Auswirkungen medialer Gewalt unausweichlich? Wie sollten wir in Zukunft über Gewalt in Medien diskutieren?
In der bisherigen Debatte über Gewaltmedien finden sich beinah ausschließlich polarisierende Meinungen. Während eine Position die Ansicht vertritt, gewalthaltige Medien haben keine bis wenige Auswirkungen auf die oft sehr jungen Konsumenten, sieht die Gegenseite das deutlich anders. Gewaltmedien haben großen, negativen Einfluss, vor allem auf Kinder und Jugendliche, so die dort gültige Aussage. Selten findet die Diskussion zu diesem emotionalen und auch in Erziehungsfragen pädagogisch anspruchsvollen Thema eine Art Kompromiss. Doch warum ist das so? Und wie können wir in Zukunft ehrlich und lösungsorientiert über Gewaltmedien diskutieren?
In einer kurzen und einer langen Antwort versucht dieser Text zu beantworten, warum wir den Diskurs über gewalthaltige Medien verändern sollten und wie dieser Diskurs in Zukunft aussehen kann.
Der deutsche Psychologe Dr. Rudolf H. Weiß hat dieser Übersetzung noch einen Kommentar beigefügt, in dem er einige Aspekte des Artikels und deren Bedeutung für die Zukunft genauer beleuchtet.
Das Buch von Sabine Schiffer ist Ratgeber und Medienkritiker zugleich. Ein exzellenter Ratgeber für alle, die im Beratungsbereich für Kinder und Jugendliche tätig sind, wie SchulpsychologInnen, SozialpädagogInnen, Beratungslehrkräfte, im Jugendschutz Tätige, Lehrkräfte für Medienerziehung, Gewaltprävention, Religion, Ethik oder Sozialkunde und Eltern in einer verantwortlichen Position an der Schule, aber auch für Medienbeobachter und -kritiker in Presse, Rundfunk und TV sowie Medienpolitiker der Länder und für den Jugendschutz zuständige Ministerialbeamte. Last not least stellt das Buch auch eine ausgezeichnete Fundgrube für Medienwissenschaftler dar.
Der Verein „Mediengewalt“ hat sich in einer Studie mit Details des Prüfvorgangs der
USK befasst und anschließend die für Jugendschutz zuständigen deutschen Ministerien zu
den offensichtlichen Schwachstellen im Prozess befragt. Die Antworten wurden unter Einbezug des
mehrfach von den Ministerien zitierten Gutachtens des Hans-Bredow-Instituts zum Status des
Jugendmedienschutzes ausgewertet.