Pressemitteilung von mediengewalt.eu von Dipl. Psych. Thomas Haudel und Dr. Rudolf Weiß, 7.5.2020
Ohne normalen Schulalltag, Kita, Sport und Freunde bleiben Kindern Computerspiele in höherem Ausmaß als je zuvor zum Zeitvertreib.
Offizielle Zahlen gibt es nicht, die gab es aber auch vor Corona nicht und das liegt in der Natur der Sachlage: Gewalthaltige Spiele sind für Minderjährige verboten.
Erschöpfte Eltern schaffen schlichtweg die zeitliche und inhaltliche Kontrolle über die Computerspiele ihrer Schützlinge kaum – dieser Eindruck entsteht in unzähligen Elterngesprächen seit dem Lockdown.
Was tun, wenn der Elfjährige die Gewalt-Spiele seines nicht einmal 18-jährigen Bruders spielt? Und wenn sich dann der Neunjährige dazugesellt? Wie mit der nötigen Energie pädagogisch angemessen reagieren, wenn die Eltern in der Coronakrise von einem Tag in den anderen purzeln, in der beengten Wohnung und angespannten Unsicherheit?
Es gibt etwas zu tun. Es gilt hin zu schauen: Was passiert aktuell in deutschen Kinderzimmern mit unseren Kindern und Jugendlichen, mit ihren Köpfen und Herzen, wenn sie den halben Tag virtuell Menschen und Monster abknallen?
Dazu schreibt Dr. med. Friederike Soldo, Fachärztin für Kinder – und Jugendpsychiatrie- und -psychotherapie: „Die geforderten Eltern brauchen hier Unterstützung, nicht schlichte Ermahnung und Belehrung. Mir ist in meiner langjährigen Praxis nicht ein einziger Elternteil begegnet, dem es völlig egal war, welche Spiele das Kind spielt. Mir haben allerdings unzählige Eltern anvertraut, dass sie ihren Sprösslingen letztlich nachgaben, wenn diese mit raffinierten Argumenten ihr vermeintliches Recht auf unbegrenztes Spielen einforderten“.
Auf diese Weise ist es zu erklären, wenn zwei Drittel der Jungen anonym in repräsentativen Befragungen in Schulen behaupteten, dass es ihren Eltern „eigentlich egal sei“ was sie spielen. Sie geben sich selbst einen Freibrief, mit 14 Jahren schon „Call of Duty – Modern Warfare “ oder „Grand Theft Auto V“ (GTA V) zu spielen, obwohl diese extrem violenten Computerspiele erst ab 18 Jahren freigegeben sind.
Aktuell durch die Coronabedingten Einschränkungen fallen den pfiffigen Kindern und Jugendlichen noch unzählige Argumente mehr ein, ihre Eltern in den Schwitzkasten zu nehmen. Die Erläuterungen, warum sie weiter und weiter spielen dürfen sollten, sind kurios und zahlreich.
„Wir alle, nicht nur Ministerien und Jugendämter, Pädagogen, nein, wir alle“, so Friederike Soldo weiter, „sollten wachsam sein, ehe ein junger Mensch auf eine der vielen Millionen Waffen in deutschen Haushalten zugreift, medial überstimuliert und real unterbeschäftigt, und digitale Übung in gewaltsame Taten umzusetzen plant.“
Der Philosoph Martin Buber lehrte uns, alles wirkliche Leben sei Begegnung. Wann haben wir zuletzt unsere Nachbarn persönlich und wohlwollend gefragt, wie es ihnen und den Kindern gehe? Wann haben wir zuletzt unser Nachbarskind gefragt, wie es ihm gehe, was es gern in der Freizeit tue, haben wir unser Interesse an den jungen Menschen gezeigt, ein schönes Gespräch angefangen über die guten Dinge des Lebens, oder auch die schwierigen? Oder haben wir aufgegeben, weil wir schon befürchten, Kinder und Jugendliche lebten ja bereits in der digitalen Welt?
Ein erster Schritt ist, mit den Familien, Kindern und Jugendlichen in die Kommunikation einzusteigen, sich für sie zu interessieren. Es wird für einige ein neues Erlebnis sein, dass sich jemand freundlich an sie wendet – ein Grund mehr, sich zu begegnen.
Zahlreiche Anregungen gibt es im Bundesministerium für Gesundheit und bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Es stehen außerdem bundesweit kostenfreie Beratungsstellen zur Verfügung, an die Eltern sich auch in der Coronakrise telefonisch hinwenden können: https://eltern.bke-beratung.de/~run/views/wichtige-infos/beratungsstellensuche.html.
Gewaltspiele sind keine Lösung für die Unterbeschäftigung von Kindern.
Die Beratung der Familien zur angemessen Beschäftigung der Kinder sollte stets wertschätzend sein. Wir wollen Kinder und Eltern gewinnen, nicht durch rüde Belehrung verlieren.
Auf der Website des Vereins „Mediengewalt – Internationale Forschung und Beratung e.V.“ sind unter der Rubrik „Beratung“ eine ganze Reihe von praktisch umsetzbaren Hilfen für sowohl Eltern als auch Lehrer enthalten: www.mediengewalt.eu/Beratung.
WeiterlesenDas Buch von Sabine Schiffer ist Ratgeber und Medienkritiker zugleich. Ein exzellenter Ratgeber für alle, die im Beratungsbereich für Kinder und Jugendliche tätig sind, wie SchulpsychologInnen, SozialpädagogInnen, Beratungslehrkräfte, im Jugendschutz Tätige, Lehrkräfte für Medienerziehung, Gewaltprävention, Religion, Ethik oder Sozialkunde und Eltern in einer verantwortlichen Position an der Schule, aber auch für Medienbeobachter und -kritiker in Presse, Rundfunk und TV sowie Medienpolitiker der Länder und für den Jugendschutz zuständige Ministerialbeamte. Last not least stellt das Buch auch eine ausgezeichnete Fundgrube für Medienwissenschaftler dar.
Von interessierten Kreisen wurde bei Ferguson eine kritische Stellungnahmen zur Untersuchung
„Media Violence and Youth Violence. A 2-Year Longitudinal Study“
von Hopf, Huber und Weiß (publiziert 2008 im Journal of Media Psychology) eingeholt und als Teil
von PR-Maßnahmen in der Gamer-Szene verbreitet.
Die drei Autoren der Längsschnittstudie haben dazu eine Stellungnahme geschrieben.
Der Verein „Mediengewalt“ hat sich in einer Studie mit Details des Prüfvorgangs der
USK befasst und anschließend die für Jugendschutz zuständigen deutschen Ministerien zu
den offensichtlichen Schwachstellen im Prozess befragt. Die Antworten wurden unter Einbezug des
mehrfach von den Ministerien zitierten Gutachtens des Hans-Bredow-Instituts zum Status des
Jugendmedienschutzes ausgewertet.